Systematische Theologie

HINWEIS: "Die Projektdauer hat sich wegen der Pandemie auf 2022 verlängert!"

Transformationen des Sündenbegriffs in der theologischen Anthropologie
des 20. Jahrhunderts
 

Organisation:

PD Dr. Martin Fritz (Gießen) und PD Dr. Burkhard Nonnenmacher (Tübingen)

Förderzeitraum: 01.01.2019–31.12.2021

  1. Gegenstand und Ziel des Vorhabens

Christliche, erst recht protestantische Theologie ist Sündentheologie. Diese Ausgangsthese legt sich angesichts der zentralen Stellung von Sündenvergebung resp. Rechtfertigung des Sünders insbesondere innerhalb des protestantischen Christentums unmittelbar nahe. Zieht man aktuelle Entwicklungen in Betracht, erscheint die besagte These freilich weniger selbstverständlich als zuvor. Denn nicht nur innerhalb populärer Debatten (F. C. Delius) wird das destruktive Potenzial einer derart negativen Anthropologie beklagt. Auch neuere akademische Entwürfe haben es sich auf die Fahne geschrieben, eine „Theologie ohne Sünde“ zu entwerfen (K. Huizing) und stattdessen alternative, leichter zugängliche Konzepte negativer Selbstverhältnisse (z.B. Scham, Neid) in den Mittelpunkt der theologischen Anthropologie zu stellen (Huizing, N. Slenczka). Dabei knüpfen die einschlägigen Autoren an eine weit zurückreichende Kritik zentraler Themen der Hamartiologie an. So verfällt bekanntlich bereits in der Reformationszeit der Erbsündengedanke (Sozinianer) und dann im 18. und 19. Jahrhundert der Sündengedanke überhaupt bisweilen unter das Verdikt biblisch-theologischer sowie ethisch-moralischer Abwegigkeit, um dann im 20. Jahrhundert vermehrt auch als religiös nicht mehr unmittelbar zugänglich wahrgenommen zu werden (z.B. bei P. Tillich). Zugleich gibt es freilich ebenso Autoren, die die Begriffe peccatum originale und peccatum actuale einer wirkmächtigen Transformation unterzogen haben (allen voran Kant), welche bis ins 20. Jahrhundert nachgewirkt und nicht zuletzt zur Notwendigkeit rechtfertigungstheologischer Neubesinnung(en) geführt hat.

Die Sünde ist also offenbar ein neuralgischer Punkt christlicher Theologie. Dies gilt nicht allein aufgrund ihrer faktischen Rolle innerhalb des überlieferten Christentums und aufgrund ihrer Strittigkeit in der Moderne. Entscheidend ist: Wenn der Sündentopos seine selbstverständliche Geltung eingebüßt hat, betrifft dies eine Schlüsselstelle im Aufbau christlich-religiösen Lebens und mithin eine Schlüsselstelle im Aufbau von dessen theologischer Reflexion. Wird das religiöse Heil im Christentum vorwiegend als Versöhnung oder Erlösung konzipiert, impliziert dies ein unheilvolles „Woher“ der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen, welches „Woher“ traditionell mit dem Sündenbegriff bezeichnet wird. Folglich kommt der Hamartiologie eine kaum zu unterschätzende Vermittlungsfunktion zu, insofern sie ausschlaggebend ist für die basale anthropologische Plausibilisierung des Christentums als Heils- bzw. Versöhnungs- bzw. Erlösungsreligion. Luthers Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium macht dies eindrücklich deutlich: Nur wenn die negative Folie des Heils in angemessener Weise an der allgemeinen menschlichen Erfahrung oder Selbstdeutung aufgewiesen werden kann, behält das Christliche, behalten folglich auch Theologie, Unterricht und Predigt ihre „empirische“ Anschlussfähigkeit. Kurzum: Mit der Schlüssigkeit der „negativen“ Anthropologie christlicher Theologie steht und fällt die Vermittelbarkeit des Christlichen. Die Krise des Sündenbegriffs und das Schwinden des Sündenbewusstseins sind deshalb auch maßgeblich für die Krise des christlichen Gottesglaubens in der Moderne verantwortlich gemacht worden.

Nun ist die fundamentale Vermittlungsaufgabe theologischer Anthropologie resp. Hamartiologie in der Theologie der Moderne durchaus wahrgenommen worden. So hat die Geschichte der Krise des Sündenbegriffs mannigfache Versuche seiner theologischen Rettung (z.B. J. Müller), Relativierung (z.B. Harnack) oder Umformung (Schleiermacher, Ritschl, Herrmann) hervorgebracht – ein Prozess, der wie angedeutet bis heute andauert. Eine umfassende Aufarbeitung der fraglichen Problemgeschichte – Voraussetzung für die produktive systematisch-theologische Orientierung im besagten Problemfeld – hat bisher jedoch noch nicht stattgefunden. Das geplante Projekt widmet sich der letzten Etappe der in Rede stehenden Umformungskrise und fragt nach der Transformation der Sündenlehre in der protestantischen Theologie des langen 20. Jahrhunderts. Im Horizont der Problemgeschichte sollen bedeutsame Entwürfe einer hamartiologischen Vermittlung zwischen der christlichprotestantischen Tradition und zeitgenössischer menschlicher Erfahrung bzw. allgemeiner anthropologischer Theoriebildung in den Blick genommen werden. Es soll analysiert und diskutiert werden, worin jeweils die generelle hamartiologische Plausibilisierungsstrategie sowie der spezifische Beitrag zu einzelnen Problemaspekten besteht und wie sich die entwickelten Positionen zur Tradition, untereinander und zu aktuellen Debatten in Beziehung setzen lassen. Methodisch soll der skizzierte problemgeschichtliche Zugriff zum Thema mit der Frage nach der systematischen Stringenz der behandelten Konzeptionen verknüpft werden.

  1. Arbeitsprogramm des Vorhabens

Innerhalb der Projektlaufzeit (2019–2021) werden zum Thema drei Fachtagungen durchgeführt werden, deren Ergebnisse in einem Sammelband als Veröffentlichung der WGTh dokumentiert werden. Dabei werden Kolleginnen und Kollegen als Referierende eingeladen. Zudem wird eine Projektgruppe aus ca. fünf Personen aus dem wissenschaftlichen Nachwuchs gebildet (inklusive der Projektgruppenleiter), die an allen Tagungen teilnehmen und die verhandelten Positionen jeweils im Kontext diskutieren. Alle drei Fachtagungen richten sich an alle Interessierten. Sie werden an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen stattfinden und dauern jeweils zwei halbe Tage.

 Die Termine der Tagungen sind:

10./11. Oktober 2019 (Do/Fr)

2./3. April 2020 (Do/Fr)

17./18. März 2021 (Mi/Do)

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